Strukturstärkung

Schon wieder? Kohleausstieg in Anhalt-Bitterfeld

Deutschland steigt aus der Kohle aus. Diesen Beschluss, der gesellschaftlich hitzig diskutiert wurde, gilt es nun umzusetzen. Denn ob Klimaschutz oder Klimawahn, unabhängig vom politischen Lager stellen sich für alle die Fragen: Woher kommt zukünftig zuverlässig genügend Strom für Industrie, Haushalte, Mobilität und vieles mehr? Was bedeutet das für unseren Alltag? Der Strukturwandel, der mit dem Kohleausstieg einhergeht, wirkt bekanntermaßen weit über die sogenannte Energiewende hinaus.
Die Sache ist also komplex. Hinzu kommt: Es ist unser erster Kohleausstieg als Industriegesellschaft. Eine Anleitung zur Umsetzung gibt es nicht. Tatsache ist, dass wir den Strukturwandel selbst in der Hand haben und gestalten können. Darüber, welche Entwicklungen zu erwarten sind, welche Mittel bei der Gestaltung zur Verfügung stehen und welche Ziele wir wie in Anhalt-Bitterfeld dabei verfolgen, werde ich in dieser Kategorie des Blogs der EWG berichten.

Darum geht’s

Kohle wird neben der Erzeugung elektrischer Energie auch zum Heizen, in der Chemie- und Stahlindustrie verwendet. Dabei werden große Mengen Kohlendioxid frei, was den Treibhauseffekt in der Erdatmosphäre verstärkt und damit die Entwicklung des Klimas beeinflusst. Mit dem Klimaschutzabkommen von Paris hat sich die internationale Staatengemeinschaft im Jahr 2015 darauf geeinigt, die globale Erwärmung auf 2° zu begrenzen. Deutschland möchte diese Vorgabe unter anderem durch den Kohleausstieg erreichen und besiegelte 2019 das Ende quietschender Schaufelradbagger im Tagebau.
Was hat Anhalt-Bitterfeld damit zu tun? Eine ganze Menge. Besonders an den Industriestandorten Bitterfeld-Wolfen und Weißandt-Gölzau sind energieintensive Branchen ansässig. Bisher war der Kohlestrom eine verlässliche und – lässt man die gesellschaftlichen Kosten des Abbaus und des Klimawandels außenvor – günstige Energie. Bis 2038 (Stand Oktober 2021) soll Kohle nicht mehr als Primärenergieträger verwendet werden. Für das Mitteldeutsche Revier, zu dem auch der Landkreis Anhalt-Bitterfeld gehört, bedeutet das die Schließung der Tagebauen Amsdorf, Profen und Schleenhain. Braunkohlekraftwerke, wie in Schkopau, werden stillgelegt. Damit versiegt neben einer Strom- auch eine Wärmequelle etwa für Fernwärme. Die Kohle muss in all ihren Pfadabhängigkeiten ersetzt werden. Das trifft neben dem Energiesektor und der Chemie (z. B. Montanwachs) auch die Baubranche, in der z. B. Gips aus Rückständen der Rauchgasentschwefelungsanlagen von Kohlekraftwerken (REA-Gips) verwendet wird. Die industriellen Verflechtungen sind vielschichtig und davon ist Anhalt-Bitterfeld besonders betroffen, auch wenn es hier gar keinen aktiven Tagebau mehr gibt.

Wir brauchen neue Energiequellen – und noch Vieles mehr

Im Sinne des Klimaschutzes werden fossile Rohstoffe, wie Kohle, Erdgas- und öl, durch erneuerbare Energiequellen ersetzt. Es wird weniger große Kraftwerke geben und mehr dezentrale Lösungen mit Methodenmix: Sonnen-, Wind- und Wasserkraft. Der Strom wird also unter anderem vor Ort produziert. Dafür benötigt man neben geeigneten Flächen auch intelligente Netze, die schwankende Verfügbarkeiten und Bedarfe aussteuern, und Speichermöglichkeiten.
Unser Strukturwandel geht über die Aspekte Wirtschaft und Umwelt hinaus. Was heute als umfassender Transformationsprozess aufwendig geplant wird, ist Anhalt-Bitterfeld in den 1990er Jahren als Strukturbruch widerfahren. Der abrupte Niedergang braunkohlebezogener Industrie traf die Region ökonomisch und sozial mit voller Härte. Auch wenn sich Natur und Wirtschaft seitdem erholen, sind die gesellschaftlichen Auswirkungen weiterhin spürbar. Anhalt-Bitterfeld gilt als strukturschwache Region. Trotz relativ geringer Arbeitslosigkeit ist die Armutsquote hoch. Trotz Fachkräftemangels arbeiten überdurchschnittlich viele Menschen in prekären Verhältnissen. Dies bedingt sich gegenseitig mit der regionalen Demografie: Geringe Löhne veranlassen junge Menschen zur Abwanderung und verhindern Zuwanderung. Die zunehmende Überalterung der Gesellschaft verschärft die Fachkräftesituation zusätzlich.

#GlückaufZukunft

Anhalt-Bitterfeld ist vom aktuellen Kohleausstieg nicht unmittelbar betroffen, es gibt dennoch viel Handlungsbedarf infolge des Strukturbruchs in den 1990er Jahren. Der Strukturwandel im Rahmen des Kohleausstiegs ist eine Chance für die Region, nicht nur „alte“ Defizite zu überwinden, sondern sich ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltig aufzustellen. Im Sinne des Slogans der Landeskampagne #GlückaufZukunft wollen wir es also anpacken. Und dabei stehen wir nicht allein mit leeren Händen da. Im nächsten Beitrag stelle ich ein wichtiges Instrument vor: Das Investitionsgesetz Kohleregionen.