Die Kohle kommt zurück ins Revier!
Anhalt-Bitterfeld und die Kohle-Millionen
Der Bericht der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ vom Januar 2019 mit Empfehlungen zur Gestaltung des Kohleausstiegs ist eine lange Liste von Hausaufgaben für die Abbaugebiete. Der Kohleausstieg wird als Strukturwandel beschrieben, der weit über den Energiesektor hinausgeht, und als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begriffen. Die Reviere, meist zugleich strukturschwache Regionen, riefen nach Unterstützung bei der Umsetzung – „Kohle-Milliarden“ sollten her. Und sie kamen. Es dauerte bis August 2020, bis der Bund das Strukturstärkungsgesetz verabschiedete. Am Ende eines langes Aushandlungsprozesses stand ein 40 Milliarden schweres Förderprogramm zur Gestaltung des Strukturwandels in den Kohlerevieren bis 2038.
Ein großes Stück Sahnetorte für Anhalt-Bitterfeld?
Eine Frage drängt sich sofort auf: Wie groß ist „unser“ Anteil? Das lässt sich nur zum Teil beantworten und benötigt zur Klärung einige fördertechnische Hintergrundinformationen. Das Gesetz besteht aus zwei Säulen. 26 Milliarden Euro der Gesamtsumme steuert der Bund und realisiert damit eigene Vorhaben wie Forschungszentren und Infrastruktur, z. B. Bahnprojekte. Eine Liste mit Projektideen für die Jahre 2020 und 2021 hat das BMWi hier veröffentlicht.
Ein Teil der Mittel aus dem „Bundesarm“ werden über das Programm STARK in die Reviere gelenkt. Die Richtlinie ermöglicht die Finanzierung von Personal zur Umsetzung der Strukturwandelprojekte, die aus dem zweiten Arm des Strukturstärkungsgesetzes bestritten werden können, dem „Landesarm“. Darüber werden den vom Kohleausstieg betroffenen Bundesländern bis 2038 insgesamt 14 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Die Aufteilung ist im Gesetz festgelegt. Sachsen-Anhalt erhält 12 %, also 1,68 Milliarden Euro. Geteilt durch die Laufzeit von 18 Jahren ergibt das rechnerisch 93,3 Millionen Euro pro Jahr für die Landkreise des sachsen-anhaltischen Teils des Mitteldeutschen Reviers (Anhalt-Bitterfeld, Burgenlandkreis, Mansfeld-Südharz, Saalekreis und die Stadt Halle (Saale)).
Eine Verteilquote gibt es auf dieser Ebene nicht. Die kommunalen Antragsteller müssen das Land als Mittelgeber mit innovativem Geist, Kreativität und Nachhaltigkeit von ihren Projekten überzeugen. Auch wenn sich dabei die Nachbarn genau beobachten, geht es bei der lokalen Entwicklung um die Stärkung einer gemeinsamen Region, die zukünftig ebenso von nachhaltigen Symbiosen profitieren soll, wie ehemals von den verflochtenen Pfadabhängigkeiten der Kohle.
Schmeckt der Kuchen?
Die Groschenroman-Philosophie hat recht: Geld allein macht nicht glücklich. In Falle des Strukturwandels hängt das Glück auch an den Fördermöglichkeiten - also was man mit dem Geld bewegen kann. Ziel des Strukturwandels ist eine Transformation hin zu einer treibhausgasneutralen Wirtschaft und Gesellschaft. Auch wenn Nachhaltigkeit hier im umfassenden Sinne verstanden wird, also ökonomisch, ökologisch und sozial, ist das Strukturstärkungsgesetz ein Programm zur Wirtschaftsförderung durch kommunale Projekte. Es geht am Ende um den Erhalt und die Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen. Das kann man jedoch großzügig interpretieren: Neben der Verbesserung der Bedingungen am Wirtschaftsstandort, werden auch gewisse Maßnahmen zur Fachkräftesicherung gefördert, darunter die Verbesserung des Wohnstandortes, der öffentlichen sozialen Infrastruktur, der Bildungslandschaft, touristische Infrastruktur. Voraussetzung ist, dass es sich um eine zusätzliche bauliche Maßnahme handelt, die der nachhaltigen Erfüllung öffentlicher Aufgaben dient. Gefördert werden Bauarbeiten, die nicht „sowieso“ anstehen, sondern eine Entwicklung über den Ursprungszustand hinausbringen. Sprich: Die Sanierung eines Hortes geht nicht aber ein barrierefreier Neubau mit nachhaltigem Energiekonzept und innovativen pädagogischem Konzept.
Kommunen, der Landkreis und sonstige Träger, sofern sie mit ihrem Vorhaben kommunale Aufgaben übernehmen, können also vielfältige Maßnahmen zur Gestaltung des Strukturwandels beantragen. Bei Zusage winkt eine Förderung von 90 % der Kosten. Für Ausgaben im Jahr 2022 stellt das Land Sachsen-Anhalt die Übernahme von 50 % des Eigenanteils in Aussicht, was besonders kleinen Kommunen umfassende Maßnahmen ermöglicht, die sie sonst im Rahmen gängiger Förderquoten nicht finanzieren können.
Mit etwas Geschick und Einfallsreichtum können Antragssteller über das Strukturstärkungsgesetz sehr unterschiedliche Projekte realisieren. Wie das erfolgsversprechend funktioniert, was genau sich hinter den Gesetzesparagrafen, der Richtlinie und Formulierungen wie „Verkehr ohne Bundes-, Landes- und Kommunalstraßen […]“ (§ 4 (1) 1 StStG) verbirgt (Radwege!), dazu berät die EWG. Wir begleiten Antragsteller bei der Projektentwicklung bis zur Einreichung und koordinieren den Strategieprozess zum Strukturwandel in Anhalt-Bitterfeld. Welche Ziele dabei wie verfolgt werden, darüber schreibe ich im nächsten Beitrag der Kategorie „Strukturwandel“ des Blogs der EWG.